Es ist Ende Juni. Die Sonne steht am Himmel, Schatten und Licht fallen im Wechsel durch das Fenster des Wohnmobils. Karen und Kai (Kims Eltern) nehmen uns inkl. Sack und Pack mit auf dem Rückweg von Samsö Richtung Süden. Die deutsch-dänische Grenze kommt stetig näher und damit der Startpunkt unser vorerst längsten Wanderung. Die Gedanken rasen ebenso wie die Umgebung vor der Scheibe. Hat man an alles gedacht? Ist man diesem Abenteuer überhaupt gewachsen? Die Zweifel mischen sich mit Vorfreude und ein Grinsen huscht über unsere Gesichter. Etwas südlich von Flensburg fahren wir von der Autobahn und steuern den nächsten Parkplatz an. Es wird sich ein letztes mal zur Verabschiedung in den Arm genommen. Wir stemmen die Rucksäcke auf den Rücken und werfen einen letzten Blick über die Schulter. Nun soll es losgehen.
Da der Tag schon fortgeschritten ist, ist für heute eine kurze Etappe geplant. Es läuft uns schon bald ein anderer Wanderer entgegen und wir kommen ins Gespräch. Er erzählt uns, wo er heute gestartet ist – so ungefähr unser Etappenziel Tag 3. Wir ziehen unseren imaginären Hut. Ohne Neid muss man allerdings sagen, dass er nur halb so viel Gepäck auf dem Rücken hat. Unser Ziel für heute ist eine nahe gelegende Schutzhütte. Hinter der Hütte finden wir einen Platz mit belaubtem, ebenen Boden wo wir unser Zelt aufstellen. Wir breiten uns am leicht ramponierten Tisch der Schutzhütte aus und machen Essen. Gelegendlich kommen Radfahrer, Reiter oder mal ein Auto vorbei. Die Nacht ist ruhig.
Wenn Leute an Wandern denken, assoziieren sie dies häufig mit frühaufstehen. Das ist insbesondere dann sinnvoll, wenn tagsüber hohe Temperaturen zu erwarten sind oder eine lange Etappe vor einem liegt. Da bei uns weder das Eine noch das Andere in der Regel der Fall ist, machen wir uns morgens keinen Stress beim loskommen. Wir laufen ~4 km pro Stunde. Eine Strecke von 12-15 km schafft man dann auch, wenn man erst am Vormittag das Zelt abgebaut hat.
Es ist Samstag und wir bewegen uns Richtung Supermarkt, um die Vorräte aufzufüllen. Nachdem wir extra einen Umweg eingeplant haben, müssen wir zu unserer Ernüchterung festellen, dass es im Schleswig-Holsteinischem Hinterland Märkte gibt, die um 14 Uhr schließen. Wir rasten nahe einer Landstraße, um uns einen neuen Plan zu überlegen. Scheinbar machen wir einen dermaßen hilflosen Eindruck, dass ein vorbeifahrendes Auto anhält dessen Fahrer uns fragt, wie uns zu helfen wäre. Wir schildern unsere Misere. Der nette Herr erläutert, er würde im nächsten Dorf wohnen; wir sollen vorbeikommen, damit seine Frau uns für den kommenden Tag mit Vorräten versorgen kann. Wir folgen dankbar der Einladung und wandern los. Eine halbe Stunde später ist die Adresse ausfindig gemacht und wir werden mit Brot, Käse, Eiern sowie etwas frischem Gemüse versorgt. Reichlich, um unseren Fehler wettzumachen. Wir trinken mit unseren lieben Helfern noch einen Kaffee. Wir haben Glück, denn der Herr ist ehemaliger Bürgermeister des Ortes und hat viel spannendes über die Region zu erzählen. Wir setzen unsere Wanderung fort in Richtung Idstedter See. Auf dem Weg finden wir einen Hof mit einer Streuobst-Wiese fürs Zelt.
Der Sonntag macht seinem Namen alle Ehre. Wir sichern uns einen der vielen Stege, die den Idstedter See umrunden und machen es uns in der Sonne bequem. Das Wasser ist einladend erfrischend und eine Wohltat nach den Wandertagen. Am Nachmittag finden wir in unmittelbarer Nähe des Sees einen pansionierten Bauern, der uns einen Platz im Garten anbietet. Das gemeinhin geltende Vorurteil Norddeutsche wären kühl und unnahbar, konnten wir auf dieser Reise in keinster Weise bestätigen.
Auch auf unserer nächsten Etappe nach Schleswig, haben wir erneut großes Glück und begegnen überaus netten und gastfreundliche Menschen. Wir haben einen Platz für das Zelt im Garten bekommen und werden herzlich mit einer Flasche Sekt und sogar zwei vollen Schüsseln mit frischen Früchten empfangen. Nach einem ermüdendem Wandertag ist dies eine belebende Erfrischung für Geist und Körper. Während unsere Gastgeber tagsüber eine Verabredung haben, freunden wir uns mit den Mietern der ebenfalls besetzten Ferienwohnung an. Den Abend wird das EM-Spiel Deutschland – Ungarn übertragen, dass gemeinsam geschaut wird. Es endet feucht fröhlich mit einigen leeren Flaschen Wein.
Während wir auf Reisen sind, müssen wir immer wieder feststellen, dass viele aufeinanderfolgende Reisetage doch sehr ermüdend sind. Fühlen wir uns irgendwo wohl und man ist mit den Gastgebern etwas aufgetaut, nehmen wir dies gerne zum Anlass zu fragen, ob wir eine weitere Nacht bleiben dürfen. So ist es hier in Schleswig der Fall und wir haben Zeit, uns mit leichtem Gepäck die Stadt anzuschauen. Wir drehen eine Runde vom Barockgarten, durch das Schloss Gottorf bis zum Hafen.
Der nächsten Tag führt uns entlang der Schlei und dem alten Wikingerdorf Haithabu. Am Himmel hängen tief schwarze Wolken und es dauert nicht lange bis es aus Eimern regnet. Wir nutzen die Zeit und machen in einer Schutzhütte Mittagessen. Den Rest des Tages bleibt es trocken bis wir uns bei Geltorf eine Bleibe suchen. Wir klingeln an der Tür eines Hofes und uns öffnet ein kräftiger Herr um die Fünfzig.
Freundlich aber etwas widerwillig bietet er uns einen überdachten und windgeschützten Zeltplatz an der Scheune an. Nachdem wir mehrfach versicherten ‚keine Verbecher zu sein‘, wurde nurnoch nach den Personalausweisen gebeten, um auf Nummer sicher zu gehen. Das Maß an Misstrauen ist ungewohnt, aber wir nehmen es gelassen. Später kommt die Frau des Hauses heim, die Stimmung wird lockerer. Wir trinken noch gemeinsam ein Bier und tauschen uns aus.
Durch den Brekendorfer Forst wandernd, erklimmen wir den Heidberg, mit für Schleswig-Holstein üppigen 99 Metern Höhe. Die Nacht verbringen wir bei Ascheffel.
Durch Wald und Wiesen geht es am nächsten Tag weiter nach Osterby. Digitale Medien haben sich für unsere Reise als überaus nützlich erwiesen. So nutzen wir aktuell die App Jodel, welche einen standortbasiert mit anderen Menschen der Umgebung verbindet. Mit etwas Glück findet sich mal ein Schlafplatz, mal eine abendliche Verabredung oder eine Mitfahrgelegenheit. Bei Osterby folgen wir einem dieser anonymen Tipps und finden eine wunderschöne Kommune mit überaus freundlichen Menschen. Für uns sind es überaus bereichernde Erfahrungen alternative Lebens – bzw. Wohnkonzepte zu erleben und sich mit den Menschen über die sich dahinter verbergenden Ideen auszutauschen. Im großen Gemeinschaftsgarten findet sich ein Platz für das Zelt. Wir kriegen eine Führung über das Gelände, welches vor zwei Jahrzehnten einmal eine Schweinefarm war. Die Bewohner der Kommune haben einen eigenen Supermarkt mit allen Dingen die das Herz begehrt. 24/7 geöffnet, da jeder auf Vertrauensbasis seine Einkäufe in eine Liste einträgt. Am nächsten Morgen essen wir noch gemeinsam Frühstück bevor wir Richtung Eckernförde aufbrechen. Netterweise wird uns eine Adresse zugesteckt, dass wir bereits eine Anlaufstelle für die Nacht haben.
Bei Eckernförde treffen wir das erste Mal auf dieser Wanderung aufs Meer und haben sogar das passende Wetter, um einige Stunden am Strand in der Sonne zu liegen. Wir schlendern durch die Gassen der Stadt und schauen uns den Hafen an. Wir hausen für die kommenden drei Tage im Garten des gemeinschaftlichen Wohnprojektes Eckodomo eG. Immer wieder kommen Bewohner auf uns zu und befragen uns zu unserer Reise.
Nachdem wir Eckernförde Richtung Südost verlassen haben, führt uns der Weg weiter entlang des Wassers. Wir zelebrieren unseren hundertsten Kilometer am Strand der Ostsee.
Auf dem Weg Richtung Schwedeneck haben wir riesiges Glück…
