Wir befinden uns auf dem Beifahrersitz eines jungen Mannes auf dem Weg nach Perpignan. Mit Händen und Füßen kommunizieren wir mit unserem französischen Fahrer. Dieser fährt uns netterweise sogar ein gutes Stück weiter als sein eigentliches Ziel, damit wir anschließend besser weiter kommen. Es sind Kleinigkeiten wie diese, die einem erheblich helfen und gegebenenfalls etliche Stunden Warten ersparen. Wir werden hinter der letzten Mautstation auf französischem Boden abgesetzt.
Wir entschließen uns, die Route über die Autobahn zu verlassen und der Küstenstraße am Mittelmeer nach Spanien zu folgen. Über Collioure, Port-Vendres geht es nach Banyuls-sur-Mer. Wir hangeln uns von Ort zu Ort bis an die Grenze zu Spanien. Von Cerbère geht es über die Ausläufer der Pyrenäen, vorbei an einem verweisten Grenzübergang nach Portbou, dem ersten Ort auf spanischem Boden. Wir schicken einen kurzen Gruß in die Heimat mit unserem aktuellen Standort. Kims Oma sendet zu unserer Überraschung einige alte Fotos von der Umgebung zurück, die sein Opa, damaliger Lokführer, vor mehr als 60 Jahren auf einer seiner Routen aufgenommen hat. Man wandelt auf den selben Wegen.
Bei Dämmerung verlassen wir die Straße und suchen mittels Satellitenbildern einen Schlafplatz. Dies ist leider nicht ganz so leicht wie gewöhnlich, denn die steilen Hänge der Berge sind nur schwer von einem geeigneten Plateau zu unterscheiden. Das Wildcamping ist in Spanien quasi überall verboten, was vorwiegend mit der Waldbrandgefahr begründet wird. Die alten Befestigungsanlagen des letzten Weltkrieges zieren die Küstenregion und liefern uns die nötigen Rückzugsgebiete für das Zelt abseits der Zivilisation. Safety first!
Auf einem schmalen Plateau über einem Bunker werden wir fündig. Der Beton unter uns lässt es nicht zu, wie üblich das Zelt mit Heringen gegen Wind zu schützen. Wir nutzen unser Paracord-Seil und ein Dutzend gesammelter Steine, um das Zelt abzuspannen. Den dies ist bitter nötig, den das Zelt steht ohne Schutz im Wind und für die Nacht sind Böen von 80 km/h vorausgesagt. Entsprechend unruhig ist die Nacht.
Wir beginnen den nächsten Tag mit einem Kaffee und einem üppigem Frühstück. Wir entdecken die Kaktusfeige als geeignete Frucht, um das morgentliche Müsli aufzupeppen. Während das Zelt noch kurz in der Sonne trocknet, kommen einige Läufer und Mountainbiker vorbei, aber keiner interessiert sich für unser Zelt.
Inspiriert durch unsere Wanderung auf dem E1 letzten Sommer, entscheiden wir uns den Mittelmeerweg E12 zu probieren. Dieser Fernwanderweg geht entlang der Küste. Doch auch, wenn man sich meist nicht weit vom Meeresspiegel entfernt geht es kräftig hoch und runter. Vom Port de la Selva verlassen wir die Küste. Wir haben bereits einen Tagesmarsch in den Knochen und wollen eigentlich nur noch einen Platz für das Zelt finden. Entlang der Straße geht es landeinwärts. Der Wanderweg biegt ab und wir folgen. Der Weg steigt kräftig an, was wir vorerst nicht weiter hinterfragen – optimistisch demnächst einen Zeltplatz zu finden. Ein Gatter quert den Weg, welches wir ebenfalls hinter uns lassen.
Meter für Meter kämpfen wir uns den Hang hoch. Hinter uns erstreckt sich mittlerweile ein beeindruckender Ausblick. Nach 200 Höhenmetern steht am Rand des Weges im steilen Terrain einsam eine Kuh. Wir sind überrascht, passieren und rechtfertigen für uns den weiteren Anstieg damit, oben auf dem Hügel vermeintlich einen Platz fürs Zelt zu finden. Wir sind Opfer unserer schlechten Planung geworden, denn dort wo wir uns mit unserem Zelt wohlfühlen, geht es auch einem Dutzend Kühen mit Glocken um den Hals gut. Ratlos und erschöpft stehen wir vor einer Horde grasender Kühe. Zwar sind Kühe grundsätzlich keine aggressiven Tiere, doch wollen wir auch kein Risiko eingehen. Unsere Begegnung mit diesen Tieren auf den Weiden Samsøs ist noch nicht vergessen. Eine natürliche Barriere zu errichten ist nicht sonderlich vielversprechend und es mangelt immernoch an geeigneten Plätzen. Auf der Spitze des nächsten Hügels lässt sich ein Unterschlupf aus Schieferstein erahnen, der hoffen lässt, etwas Sicherheit für die Nacht zu bieten. Die Nerven liegen mittlerweile blank, denn wir müssen extrem nah an den Kühen vorbeilaufen, da das Terrain keinen anderen Weg um die Tiere herum zulässt. Wir aktivieren die letzten Kraftreserven und erklimmen die letzten Meter. Tatsächlich handelt es sich bei dem Unterschlupf um eine alte Bunkerstellung, die durch einen schmalen Eingang zu betreten ist. Schmal genug, dass keine Kuh einem folgen wird.
Wir bereiten in der Dämmerung unser Abendessen zu und bleiben bis zuletzt ungestört. Mit dem letzten Löffel trabt eine Kuh heran, was dank der Glocken zumindest nicht überraschend kam. Wir fliehen ins Innere. Draußen hört man mittlerweile mehrere Tiere grasen. Nach einer kurzen Internetrecherche wissen wir, dass Kühe im Gegensatz zu uns Menschen, keine lange Schlafphase haben, sondern über den Tag verteilt beim Verdauen im Liegen rasten. Das Kühe nicht schlafen, konnten wir nach der Nacht bestätigen.
Trotz des sicheren Schlafplatzes war die Nacht, dank der Kuhglocken nicht sonderlich erholsam. Für die kommenden Wanderungen werden wir mit Sicherheit wieder mehr Zeit in die Planung investieren.
Der nächste Tag führt uns über die Kämme der Hügel durchs Naturschutzgebiet. Obwohl wir uns auf fast 300 Metern befinden ist die Etappe deutlich entspannter, da wir den Anstieg ja bereits am Vortag bewältigt haben. Doch auch der Abstieg zur abgelegenen Hafenstadt Cadaqués ist nicht zu unterschätzen. Wer die Füße nicht richtig abrollt wird bei dem schweren Gepäck am nächsten Tag mit Knieproblemen abgestraft. Wir lassen uns Zeit, denn wir haben keine Eile.
Cadaqués ist der östlichste Punkt der Iberischen Halbinsel. Das ehemalige Fischerdorf ist nur durch eine einzige Straße zu erreichen, welche sich durch das von uns bewanderte Gebirge schlängelt. Trotz einiger Touristen wirkt der 3000 Einwohner Ort ruhig. Wir lassen die schweren Rucksäck in der Bucht in den Sand fallen und machen eine ausgiebige Mittagspause. Nicht weit von uns sitzen vier junge, englischsprachige Leute. Ich nutze die Chance und quatsche die Gruppe an. Es entwickelt sich ein nettes Gespräch. Zwei wohnen in Barcelona, die anderen beiden sind Niederländer. Wir tauschen die Nummern. Wir füllen noch unsere Vorräte im örtlichen Supermarkt auf und stiefeln erneut einen der Hügel hinauf, um abseits der Häuse unser Zelt zu platzieren. Mit Blick über Cadaqués gibt es Reis mit frischem Gemüse und Curry.
Den kommenden Tag nutzen wir, um durch die kleinen Gassen des Ortes zu laufen und überall künstlerische Details zu entdecken. Zu unserer Überraschung finden wir auf einem Parkplatz zwei junge Wildschweine vor, die sich scheinbar wenig an der Anwesenheit von Menschen stören. Aus der gestrigen, spontanen Begegnung am Strand ergibt sich eine Mitfahrgelegenheit. Horacio und seine Freundin fahren Nachmittags zurück nach Barcelona und bieten an uns mitzunehmen. Wir freuen uns sehr und nehmen dankend an.