Wir wären gerne länger im Spores Haus geblieben, doch unser Raum wird gebraucht. Weitere Gäste werden erwartet, drum ziehen wir weiter.

Wir haben geplant eine Woche in den Bergen der Region zu wandern. In etwa 14 Kilometern Entfernung erhebt sich die Landschaft auf eine Höhe von knapp 700 Metern. Bis dahin liegt flaches Land in sengender Hitze vor uns.  Wir lassen einige Dinge unserer Ausrüstung in Cullera zurück, um hinsichtlich des Gepäcks etwas abzuspecken – um das eingesparte Gewicht wieder mit Essen für die kommenden Tage aufzufüllen. Den letzten Supermarkt erwischen wir in Favara. Nach einer weitere Stunden mit leichtem Anstieg erreichen wir den Fuß der Berge und beschließen unser Zelt aufzustellen. Wir befinden uns am Rande einer Orangen-Plantage und die nächsten Häuser sind in einiger Entfernung. Im Schein der untergehenden Sonne bereiten wir unser Abendessen zu und freuen uns mit müden Beinen auf den Schlafsack. Wir liegen noch nicht lange, als sich draußen Geräusche bemerkbar machen. Die zahlreichen Nächte wildcampen haben uns bereits einige Erfahrungen beschert, aber dieses mal knackt und raschelt es erheblich lauter, als das man es einer Maus oder Ratte zuordnen könnte. Als wir kurze Zeit später ein lautstarkes Röhren unmittelbar neben unserem Zelt vernehmen, sitzen wir aufrecht im Bett. Das war zweifelsohne ein Wildschwein. Plötzlich ist man hellwach, alle Sinne geschärft und man lauscht angespannt in die Nacht. In Ermangelung besserer Ideen bewaffne ich mich mit dem Pfefferspray, dass wir zu Verteidigungszwecken mit uns führen, während Aylin hastig auf ihrem Handy nach dem richtigen Umgang mit Wildschweinen googlet. Vermeintlich hat das Tier unsere nicht gespühlten Teller vom Abendessen im Visier. Das Internet räht uns, moderate Geräusche zu machen, um das Schwein zu verscheuchen. Ebenso entfernen wir das ungespühlte Geschirr aus dem Vorzelt und lagern es in einiger Entfernung. Scheinbar sind wir erfolgreich, denn wir kriegen den Abend keinen erneuten Besuch. Viel Schlaf finden wir die Nacht beide nicht.

Für den kommenden Tag geht es kräftig bergauf. Zum Planen unserer Wanderungen nutzen wir meistens die App Komoot, welche uns verrät, dass wir heute einen Anstieg von bis zu 30 Grad Neigung zu erwarten haben. Wir entnehmen etwas Wasser aus einer der Zisternen, drücken es durch unseren Wasserfilter und füllen unsere Flaschen. In den Rucksack wandern noch zwei frische Orangen, bevor wir uns an den Aufstieg wagen. Unser auserkorener Weg hat es ziemlich in sich und bringt uns schnell an unsere Grenzen.

Zum Glück ist die geplante Gesamtstrecke für heute überschaubar, weshalb wir viel Zeit für kleine Verschnaufpausen haben. Immer wieder sind Abschnitte des Weges schlecht passierbar, weil Sträucher von allen Seiten auf den Pfad wachsen. Wir kämpfen uns durchs Dickicht zu unserem erstes Zwischenziel der Cova de la Galera.

Die natürliche Höhle befindet sich auf ca. 400 Höhenmetern. Trotz des großen Eingangs, der viel Licht ins Innere lässt, ist kein Ende der Höhle zu erkennen. Wir legen unsere Rucksäcke ab, setzen die Stirnlampen auf und klettern hinab. Von der haushohen Decke hängen hunderte Stalaktiten, deren Gegenstücke, die Stalakmiten zum Teil ebenfalls mehrere Meter hoch waren. Nach ca. 20 Metern endet der begehbare Teil des Schachtes und damit unsere persönliche Höhlenexpedition.

Ich spiele mit dem Gedanken für heute Nacht hier zu bleiben und in der Höhle zu schlafen. Doch es ist noch mitten am Tag und wir entschließen weiter zu ziehen.

In einigen Kilometern soll sich eine Wasserstelle befinden und vermeintlich ein paar ebene Flächen, die wir später für unser Zelt brauchen. Der Nachmittag verläuft entspannter, da wir den Aufstieg des Berges bereits hinter uns haben.

Nach knappen 90 Minuten erreichen wir den Rastplatz. Wir befinden uns mitten im Naturschutzgebiet, weshalb ebene Plätze mit Tischen und Bänken selten zu finden sind. Es gibt sogar einen kleinen Bachlauf und wir füllen die Wasserflaschen auf. Der Ort ist ruhig und eignet sich auch als Schlafplatz. Während wir unser Päuschen machen hält ein Jeep und ein Park-Ranger steigt aus. Wir werden freundlich daraufhingewiesen bitte kein Feuer zu machen, aber auch, dass dies kein Ort für Camping ist. Unsere großen Rucksäcke und unsere müden Gemüter, haben unser Vorhaben hier zu nächtigen möglicherweise verraten.

Wir machen uns also wieder auf den Weg, um das Naturschutzgebiet zu verlassen. Es ist zwar auch außerhalb des Reservoirs nicht erlaubt ein Zelt aufzustellen, aber vor der Natur haben wir mehr Respekt, als vor einem generellen Camping-Verbot in Spanien. Nach 30 Minuten Weg finden wir am Straßenrand neben einer Plantage eine ebene Fläche. Gut genug für eine Nacht.

Am nächsten Morgen krabbel ich kurz vor acht aus dem Zelt und koche einen Kaffee. Während ich die morgendliche Ruhe in meinem Campingstuhl genieße fährt tatsächlich ein Polizeiwagen vor. Keiner der beiden Polizisten spricht Englisch, drum einigen wir uns auf die bereits bekannte Aussage „No camping here.“ Ich nicke verstehend und deute an, dass wir in Kürze einpacken. Die Männer sind zufrieden und fahren davon.

Wir packen kurze Zeit später unsere Sachen zusammen. Der Seitenstreifen und die Parkbucht in der wir gestanden haben ist ziemlich vermüllt. Wir haben den persönlichen Anspruch unsere Schlafplätze besser zu verlassen, als wir sie vorgefunden haben. Deswegen nehmen wir für gewöhnlich jeder ein Stück Müll aus der Umgebung mit zur nächsten Tonne. In diesem Fall lag so viel Müll herum, dass wir uns die Mühe gemacht haben jenen etwas zusammen zu räumen, damit z.B. der Park-Ranger mit einem Fahrzeug den Abfall einfach mitnehmen kann. In einem Karton sammeln wir ein Dutzend Glas- & Plastikflaschen, einen Schuh und anderen Unrat bevor wir weiter wandern. Wir brechen auf und wandern entlang der Straße.

Kurze Zeit später hält neben uns der Polizeiwagen mit den bereits bekannten Polizisten. Auf der Rückbank sitzt ein offentsichtlich aufgebrachter Spanier, der wild in unsere Richtung gestikuliert. Nach etwas hin und her verstehen wir, dass sie ein Problem mit dem zurückgebliebenem Müll an unserem Rastplatz haben. Aylin holt unseren eigenen, stets mitgeführten Müll aus dem Rucksack und kann die Situation entschärfen. Die Situation hat keine weiteren Konsequenzen, doch versaut sie mir für die kommende Stunde die Laune. Man will etwas Gutes tun und wird dafür noch beschuldigt Müll zu verkippen.

Das Ziel unseres heutigen Wandertages liegt hinter einem Bergkam im nächsten Tal. Dort steht die Ruine des verlassenen Klosters Santa Maria de la Murta. Der Wanderweg knickt von der Straße ab und führt steil den Berg hoch. Bedauerlicherweise ist er nicht nur steiler als die vorherigen Tage, sondern auch erheblich dichter bewachsen. Schon nach wenigen Minuten zieren die ersten Kratzer unsere Arme – Belastungsprobe für Material und Körper. Nach einer guten Stunde Kampf gegen den Busch und bis zu 40° Anstieg erreichen wir den Bergkam. Der Weg auf der anderen Bergseite hinab zum Kloster ist erheblich besser gepflegt und auch ohne Machete passierbar.

Der Turm der Ruine ragt über die Baumwipfel und ist schon vom Weiten zu sehen. Wir wollen euch nicht mit historischen Fakten langweilen, drum endet der Absatz hier. wink

Wir haben ursprünglich mit dem Gedanken gespielt im Umfeld des Klosters einen Platz für das Zelt zu suchen, doch der Ort ist verhältnissmäßig touristisch und gut besucht. Auch die Löcher auf den Rasenflächen lassen auf einen erheblichen Wildschweinbestand schließen. Wir nutzen die Gelegenheit für eine Pause und belegen etwas Brot. Ich mache ein paar Aufnahmen mit der Drone, bevor wir das Areal verlassen und einen Wohnmobilstellplatz vor dem Naturschutzgebiet ansteuern. Sobald wir wieder auf Zivilisation treffen, umgeben uns zu meiner Freude erneut Orangenplantagen, deren Früchte einer schnellen Qualitätskontrolle unterzogen werden. Auf dem Platz steht ein weiteres Wohnmobil mit deren Bewohnern wir etwas ins Gespräch kommen. Wir richten uns in der Nähe ein und hoffen, dass keinem auffällt, dass unser Zelt keine Räder hat.

Die Nacht ist ruhig, früh morgens kommen wenige Autos mit Hundebesitzern, die ihre morgendliche Runde drehen. Ich schleiche aus dem Zelt und schnappe mir den Kocher, um Kaffee zu brühen. Ich sitze in Sichtweite des Zelts an einem Tisch, als kurz nach acht ein Fahrzeug der Policia National vorfährt. Der Wagen hat den Parkplatz schon fast wieder verlassen, da fällt ihnen doch noch unser kleines, grünes Zelt auf. Rückwärtsgang rein und noch eine Runde durch den Kreisel. Mit Spannung beobachte ich die Polizei, wie sie etwa 10 Sekunden vor unserem Zelt stoppt bevor sie doch davon fährt. Ich witme mich erneut meinem Kaffee.

Unser Route führt durch das Tal entlang von wenigen Häusern und vielen Orangen. Wir sind auf dem Weg Richtung Alzira, die nächst größte Stadt der Umgebung. Während einer kurzen Pause checke ich auf dem Handy Spiegel Online und sitze fassungslos vor der Nachricht, dass Russland die Ukraine überfallen hat. Ich denke an Vova, den Ukrainer, den wir im Spores Haus kennenlernen durften. Ich schreibe ihm, um mein Mitgefühl auszudrücken. Es ist schwierig die eigenen Gefühle hinsichtlich eines Krieges in Europa einzuordnen. Wir laufen eine Weile schweigend neben einander her. Es gibt keine passenden Worte für das Entsetzen hinsichtlich dieser Neuigkeiten. Wir möchten an dieser Stelle unsere Solidarität mit den Ukrainern ausdrücken – wünschen Ihnen Stärke und Durchhaltevermögen für die schwierige, kommende Zeit.

Wir laufen durch die Vororte von Alzira, deren Straßen die ein oder andere Villa ziert. Zwischendrin immer wieder Leerstand. Wir brauchen nicht nur neues Essen, sondern suchen auch die örtliche Bibliothek auf, um unsere Powerbank zu laden. Mittag machen wir im Park auf einer Bank in der Sonne. Den restlichen Tag laufen wir durch Orangenplantagen Richtung Corbera. Damit sind wir faktisch auf dem Rückweg nach Cullera. Als wir in Corbera ankommen dämmert es bereits. Wir kochen noch einen Topf Nudeln und suchen am Rand der Stadt einen Platz für das Zelt.

Das Wetter für die kommenden Tage soll erheblich schlechter werden und wir schreiben mit Shana aus Cullera, ob wir zwei Tage bei ihr unterkommen können. Wir haben Glück und entschließen uns die restliche Strecke zurück zu trampen. In Cullera privat unterzukommen ist auch eine neue Perspektive auf das Alltagsleben in Spanien. So endet unser Wanderausflug in der Provinz Valencia.

Aufnahme aus der Luft - wir beim Wandern
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