Unsere Reise durch Italien ist kurz und schmerzlos. Wir bedauern zwar etwas, dass wir nur auf der Durchreise sind, doch unserem nächsten Ziel wird nachgesagt, dass es eine der schönsten Regionen im Norden des Landes wäre. Über Couchsurfing haben wir einen öffentlichen Trip erstellt und wir haben Giorgios Interesse an unserem Reise geweckt. Er läd uns ein seine Gäste zu sein in seinem Ferienhaus am Lago Maggiore. Der Hacken: Das Haus liegt nicht etwa am Ufer des Sees, sondern auf 700 Metern Höhe am Hang der Berge. Früher haben die Menschen ihr Vieh auf die hoch gelegenen Wiesen getrieben, um sie den Sommer über hier grasen zu lassen. Seid dem hat sich in dem Haus nicht viel verändert. Das bedeutet Leben wie vor 150 Jahren. Kein Steckdosen, kein Internet, keine Heizung, keine Kanalisation. Eine Erfahrung, die wir auf keinen Fall verpassen wollen. Das Grundstück ist nur fußläufig über einen steilen Wanderweg zu erreichen. Wir ahnen worauf wir uns eingelassen haben.

Für den Aufstieg bedeutet das: Zähne zusammen beißen. Zu unserem ohnehin übigem Gepäck, kommen einige Kilo Essensvorräte für die kommenden Tage dazu. Nach fast zwei Stunden und einer Hand voll Verschnaufspausen kommen wir an und werden bereits erwartet. Giorgio ist geborener Italiner und lebt mit seiner Familie in der Schweiz. Er spricht einen Haufen Sprachen, darunter auch Deutsch, allerdings bleiben wir im gewohnten Englisch. Er zeigt uns alle Besonderheiten des Hauses; wie wir den Holzhofen nutzen, wie wir warmes Wasser erzeugen, wo Werkzeuge sind und auch unsere Schlafplätze, die über eine Leiter unterm Dach zu erreichen sind. Die Hütte ist pragmatisch eingerichtet, aber gemütlich. Es gibt fließendes Wasser und sogar ein Klo und Dusche – vorausgesetzt man hat vorher Wasser gekocht. Wir trinken gemeinsam Kaffee, erlegigen einige Holzarbeiten und essen zuletzt Abendbrot. Draußen ist es bereits dunkel, als Giorgio sich verabschiedet.

Wir bleiben alleine zurück. Von unserm Fenster am Bett haben wir einen unfassbaren Ausblick auf den See und das Lichtmeer hunderte Meter unter uns. Wir sind in diesem Moment unbeschreiblich dankbar, dass wir hier sein dürfen.

Der Morgen beginnt damit Holz herein zu holen und ein Feuer zu starten. Nicht nur um für eine gemütliche Wärme im Inneren zu sorgen, sondern auch um Wasser für den ersten Kaffee zu kochen. Das ist für gewöhnlich meine Aufgabe, da Aylin gerne etwas länger schläft. Normalerweise ist dies der Moment, wo ich auf dem Handy Nachrichten lese oder einen Podcast höre – da die Schweiz allerdings nicht zur EU gehört und ich dank Roaminggebühren nicht arm werden möchte – spiele ich etwas Sudoku.

Gegen Mittag erscheint Giorgio. Er hat Kiwis aus dem eigenen Garten und eine akkubetriebene Kettensäge im Gepäck. Es ist Zeit frisches Feuerholz vorzubereiten. Baumstämme zum zerlegen gibt es massig und gemeinsam machen wir uns an die Arbeit. Einer sägt, einer hackt, einer schleppt und stapelt. Das Wetter ist brillant und der Ausblick bei der Arbeit ebenso. Wir verstehen uns sehr gut. Tauschen uns über unsere Couchsurfing-Erfahrungen aus und lachen viel gemeinsam. Giorgio fragt uns, ob wir ein Problem damit haben, wenn er heute auch hier übernachtet – haben wir nicht – drum schläft er im zweiten Zimmer das Hauses. Ich führe seit Beginn der Reise Ohrenstöpsel in meinem Rucksack mit mir rum, die ich bisher nie verwendet habe. Allerdings haben wir nun einen Schnarcher unter uns und ich bin froh um den Propfen Silikon in meinen Ohren.

Unser Host verlässt uns am nächsten Tag vorerst wieder, da er übers Wochenende selbst ein Familientreffen hat. Wir haben bisher nicht darüber gesprochen wie lange wir bleiben, aber das scheint für Giorgio kein Problem zu sein. Wir genießen die Ruhe und Abgeschiedenheit des Ortes. Aylin stürzt sich auf einen dicken Roman, den sie im Haus gefunden hat und macht es sich in der Sonne auf der Liege bequem. Ich kann mich wie immer mit dem Stillsitzen nicht anfreunden und erneuere mit dem vorhandenen Material ein altes Holzlager, welches mit frisch gespaltenem Holz gefüllt wird. Außerdem nutzen wir den Tag, um den Berg hinabzusteigen, in die nächstgrößere Stadt zu trampen und unsere Vorräte neu aufzufüllen. Mit deutlich leichterem Gepäck fällt der Weg doch erheblich leichter. Gegen Mittag erhalten wir einen Anruf, dass – wenn wir es wünschen – ein weiterer Gast für Morgennachmittag vorbeikommt. Giorgio überträgt uns die Verantwortung den Besuch einzuweisen und zu empfangen.

Das Wetter ist unverändert sehr gut und ich beschließe für den kommenden Tag etwas zu tun, was ich so vorher noch nie getan habe. Ich möchte zu Fuß einen Berg besteigen. Als ich Aylin von meinem Plan erzähle, lehnt sie dankend ab und verweist auf ihr halb beendetes Buch. Fair enough. Dann eben alleine.

Wir befinden uns am Fuße des Monte Gambarogno auf ca. 700 Metern Höhe. Das bedeutet, dass zwischen mir und dem Gipfel weitere 1100 Höhenmeter liegen. Nach dem ersten Kaffee packe ich den kleinen Rucksack. Ins Gepäck kommen einige belegte Brote, ein Liter Wasser, die Drohne und eine Hand voll M&M’s. Dann geht es los. Tatsächlich gibt es einen richtigen Wanderweg hinauf zum Gipfel, der durch einen roten und einen weißen Strich, ähnlich der polnischen Nationalflagge, markiert ist. Der Weg liegt im Schatten des Berges und nur selten scheint die Sonne durch die kahlen Bäume. Schritt für Schritt geht es hinauf. Meine Wanderapp Komoot sagt mir, dass ich rund 3 Stundenkilometer schnell gehe. Die Geschwindigkeit fühlt sich angenehm an und mit einem Wanderstock geht es durch tiefes Laub den Berg hoch. Nach anderthalb Stunden wird der Wald lichter und ich passiere die letzte Birke. Nach einer weiteren halben Stunde über der Baumgrenze setze ich die ersten Schritte auf schneeigen Boden. Kurz darauf erreiche ich den Gipfel. Auf der einen Seite liegt der See zu meinen Füßen, auf der anderen bietet sich eine Kulisse der besonderen Art. Vor wenigen Wochen hat ein auf der Südseite des Berges ein erhebliches Feuer gewütet, dessen Spuren noch deutlich zu sehen sind. Ich verdrücke meine mitgebrachten Brote und nutze die Chance für einen Dronenflug. Trotz leichter Böen kommt mein Fluggerät nach einer halben Stunde zum Glück unbeschadte zu mir zurück. Ich mache mich an den Abstieg und erreiche nach insgesamt fünf Stunden erneut die Berghütte.

Zum Wochenende sind wir erneut mit Georgio verabredet. Er bietet uns an gemeinsam einen Ausflug zur anderen Seite des Sees zu machen. Dort befindet sich einer der Zuflüsse des See, der Fluss Verzasca. Außergewöhnlich schön, glasklares Wasser, das über die Jahrtausende viele kleine Becken in den Stein gespühlt hat. Wir haben ein kleines Picknick vorbereitet und genießen die Sonne. Ich nutze die Chance einmal ins eiskalte Wasser zu springen. Nach wenige geschwommenen Metern sehne ich mich nach dem trockenen Handtuch.

Flussabwärts befindet sich der 1965 erbaute Locarno-Damm. Aufgrund von Wartungsarbeiten wurde der Stausee kürzlich entleert und bietet mit seiner 220 Meter hohen Betonmauer eine besondere Kulisse. Das seit 60 Jahren geflutete Tal liegt trocken da und gibt die Sicht frei auf die alten Straßen, Brücken und Häuser. Wir machen uns an den Abstieg und schauen uns die mit Schlamm überzogene Szene vom nahen an. Georgio erzählt uns, dass der Damm für den James Bond-Film „Goldeneye“ als Filmset diente.

Nach einer Woche Entspannung pur heißt es für uns weiter zu ziehen. Der Urlaub mit Familie Möller steht ins Haus und wir haben noch einige Kilometer bis ins Zillertal zu bewältigen. Unser Weg durch die Schweiz und Lichtenstein.

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