Wir winken Jörn zum Abschied und setzen unsere Reise fort. Es geht einmal quer durch den Ort Stege, um uns an der Bushaltestelle am Ortsausgang fürs Trampen zu platzieren. Wir verzichten auf ein Schild und während Aylin sich etwas lang macht, um auf einer Bank die Sonne zu genießen, entblöße ich meinen Daumen. Eine Frau aus der kommunalen Verwaltung hält nach einer guten halben Stunde und fährt uns zu einem Pendlerparkplatz nahe der Autobahn Richtung Kopenhagen. Ein feiner Ort zum weiterkommen und entsprechend gut ist unsere Stimmung. Nach kurzer Wartezeit hält ein Mann mittleren Alters, der auf der Fahrt nach Kopenhagen begeistert von seiner Autoleidenschaft erzählt. Er kennt sich als Pendler bestens aus und wir finden gemeinsam einen Shelterplatz nahe Kopenhagen. Wir planen hier die Nacht zu verbringen und erst morgen der dänischen Hauptstadt einen Besuch abzustatten.

Unsere Nacht war ruhig und erholsam. Der Umstand, dass man auf den Shelterplätzen überall und jederzeit völlig legal sein Zelt platzieren darf, wirkt sich definitiv positiv auf unseren Schlaf aus. Wir machen mit dem restlichen, gesammelten Holz noch ein Feuer zum kochen. Es gibt noch einen frischen Kaffee und ein kleines Frühstück bevor es für uns weiter geht. Auf dem nahe gelegenen See gibt es die Möglichkeit einer Flossüberquerung. Einmal quer über das Wasser ist ein langes Tau gespannt, mit dem man sich auf die andere Seite befördern kann. Das Floss bewegt sich etwas schwerfällig aber Spaß macht es trotzdem. Wir verlassen den Park und maschieren weiter. Wir befinden uns nicht weit der Autobahn und es dauert nicht lange, bis ein dunkler Mercedes für uns Mitten auf der Straße anhält. Wir beeilen uns mit dem Einsteigen und brausen mit Marco aus Syrien Richtung Innenstadt.

Wir haben noch einen Gutschein für eine bekannte Hostel-Kette, die ebenfalls in Kopenhagen vertreten ist. So müssen wir uns für die nächsten zwei Nächte keine Sorgen hinsichtlich eines Schlafplatzes machen. Marco lässt es sich nicht nehmen uns bis vor die Haustür zu fahren. Wir schauen uns etwas die Umgebung an, kaufen Lebensmittel und kochen später in der Küche des Hostels. Zum Glück sind wir früh dran, denn viele der Bewohner haben den selben Plan und die Anzahl der Kochfelder ist überschaubar. Nach typischer Backpackermanier teilen wir uns das Zimmer mit drei weiteren Personen. Zwei Mädels aus Deutschland sind auf Kurzurlaub hier, Nummer Drei ist selbst Däne. Das Essen ist noch nicht lange her, doch freuen wir uns bereits auf das Frühstücksbuffet am kommenden Morgen. Nicht nur wegen der Abwechslung zu unserem gewöhnlichen Frühstück sondern auch, weil man sich einfach an einen gedeckten Tisch setzt und selbstverständlich so viel essen kann wie es einem bekommt.

Wie gewöhnlich wache ich etwas früher auf als Aylin und schleiche mich aus dem Zimmer. Um kurz nach sieben bin ich einer der ersten im Frühstückssaal. Etwas verschlafen trinke ich meinen Kaffee und lese Nachrichten auf meinem Smartphone bis Aylin später dazukommt. Wir probieren uns einmal durch das Buffet bevor wir uns auf den Weg in die Stadt machen. Mein Freund Ian aus Hamburg hat uns mit einer ganzen Liste an Zielen ausgestattet, die es lohnt zu sehen. Unser erstes Ziel ist der nahe gelegene Frederiksberg Have (dän. Garten) mit der ursprünglichen Sommerresidenz König Friedrichs IV. Weiter Richtung Stadtkern passieren wir das Kunstmuseum Ny Carlsberg Glyptotek. Tatsächlich ist das Museum jeden Dienstag kostenlos zu besuchen – leider haben wir heute Freitag. So gerne wir uns die Zeit für einen Besuch genommen hätten, müssen wir mit unserem Budget etwas haushalten. Auf unserem Weg befindet sich das Rathaus Kopenhagens, auf dessen Dach eindrucksvoll eine Reihe von Dannebrog im Wind weht, die ‚Flagge der Dänen‘. Kurz darauf stehen wir vor dem Eingang des mitten in der Stadt gelegenen Freizeitpark Tivoli. Wir verschieben den Besuch auf ein anderes Mal – wir sind ja nicht zum Spaß hier!

Während wir den Hafen auf der Langbro überqueren und auf der Brücke stehend die Stadt bewundern, beobachten wir, wie sich die nächstgelegene Brücke anfängt zu drehen, um einem Schiff die Durchfahrt zu ermöglichen. Kurz darauf müssen auch wir uns bewegen, wenn wir nicht von der Brücke gekippt werden wollen. Den Kopenhageneren ist es auf eindrucksvolleweise gelungen die traditionelle Architektur mit der modernen zu verbinden. Die vielen Kanäle und das Wasser, welches das Stadtbild prägt, erinnern uns an eine Mischung aus Amsterdam und Hamburg.

Entlang der östlichen Wallanlagen der Stadt wurde 1971 die Autonomie der legendäre Freistadt Christiania ausgerufen. Die Gemeinde auf einem ehemaligen Militärgelände, entwickelte sich aus einem Mangel an bezahlbarem Wohnraum heraus. Der Geist von Christiania hat Parallelen zur Hippiebewegung, Hausbesetzertum, Kollektivismus und Anarchismus, im Kontrast zu der vorherigen militärischen Nutzung des Geländes. Wir wollen diesen besonderen Ort definitiv erleben und laufen zu Fuß, durch das 34 Hektar große Areal. Wir unterschätzen etwas die Größe und uns überkommt der Hunger. Zum Glück haben wir das passende Ziel auf unserer Sightseeing-Liste: Street Food-Market Reffen.

Errichtet auf einem ehemaligem Industriegebiet am Wasser hat sich eine lebendige Szene rund um die Themen Design, Kultur, Handwerk und Street Food gebildet. Nach Prinzipen der Nachhaltigkeit soll jungen Unternehmern mit besonderen Ideen hier Raum zur Entfaltung gegeben werden. Uns gefällt die Idee und die zwei Falafel-Pita mit leckeren Süßkartoffelpommes, die uns aus einem umgebauten Schiffscontainer kredenzt werden.

Wir bewegen uns weiter entlang des Wassers (etwas anderes ist in Kopenhagen fast unmöglich) und schauen uns das gewaltige königliche Theater an. Über die Inderhavnsbroen geht es zurück auf die andere Seite der Stadt. Es gibt theoretisch noch so viel mehr zu entdecken, aber unsere Füße sind jetzt schon lahm und wir müssen noch den Rückweg zum Hostel bewältigen.

Zurück im Hostel hat sich etwas an der Zimmerbelegung geändert. Die beiden Mädels aus Deutschland sind abgereist, dafür hat ein junger Mann aus Litauen eines der Betten bezogen. Wir kommen ins Gespräch und fragen nach dem Grund seines Besuchs. Es sind die Momente, in denen einem bewusst wird, dass nicht jeder so viel Glück hat, so privilegiert und unbeschwert durch die Gegend reist wie wir. Der 25 Jährige erzählt, dass er für einen Gerichtsprozess nach Kopenhagen gekommen ist. Er war 4 Monate unschuldig in einem dänischen Gefängniss eingesperrt. Bis sie ihn aufgrund fehlender Beweise gehen ließen. Wir bleiben mit K. in Kontakt und wenige Tage später schreibt er uns, dass der Gerichtsprozess zu seinen Gunsten entschieden wurde. Er erhält einen kleinen fünfstelligen Betrag als Kompensation. Wir freuen uns für ihn, dass er mit diesem Geld seine Pläne für die Zukunft bewerkstelligen kann und sein hoffentlich sein Glück findet.

Für uns geht es nach zwei Nächten in Kopenhagen am nächsten Morgen nach dem Frühstück weiter. Eigentlich planten wir die nördlich gelegene Kleinstadt Helsingør mit seinem beeindruckenden Schloss Kronborg zu besuchen. Doch aufgrund unseres Standortes im Süden der Stadt bietet es sich an, die nahe gelegene Autobahn zu nutzen und den Weg über die Öresundbrücke nach Osten einzuschlagen. Also basteln wir unser nächstes Schild mit der Aufschrift „Schweden„.

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